Heiter, spannend, anrührend und überraschend – so lässt sich der Leseabend mit Tanja Langer und Dorota Danielewicz am 9. November 2016 im Café Kiezanker e.V. wohl am treffendsten beschreiben. Die beiden Autorinnen fesselten und erfreuten das Publikum nicht nur mit ihren Texten und Geschichten, die sie auf Polnisch und Deutsch vortrugen, sondern gaben auch persönliche wie erfahrene Einblicke in die Kunst des Erzählens und die Herausforderungen des Übersetzens.
Autorinnen im Dialog
Das kleine Café des Kiezanker e.V. war gut gefüllt, das Publikum mit heißem Tee gut versorgt. Das anfängliche Rumoren, Stühlerücken und Reden verwandelte sich mit Beginn des Vortragens sofort in aufmerksame Stille.
Dorota Danielewicz und Tanja Langer waren sich als befreundete Autorinnen in Vielem einig, aber auch ganz verschieden. Ihre Dialoge und ihr Gespräch mit dem Publikum über ihre Geschichten, das Schreiben und Übersetzen ließen die Zuhörer viel erfahren: über ihre Arbeit, wie sie zum Schreiben gekommen sind, über ihre Wege als Autorinnen und über ihr Selbstverständnis als Schriftstellerinnen. Sie gaben Einblicke in ihre Werkstatt und die Umwege, über die Texte entstehen können, begleitet von so manchen nachdenklichen und heiteren Momenten.
Dorota Danielewicz, in Posen geboren und seit 1981 in Berlin lebend, ist Journalistin und Publizistin und arbeitete unter anderem für WDR, RBB, RFI, den „Tagesspiegel“, „Polityka“ und „Newsweek“. Zugleich ist sie in der Welt der Literatur zuhause, war Redakteurin eines Literaturmagazins in polnischer Sprache und organisiert und moderiert Literaturveranstaltungen.
Zum literarischen Schreiben ist sie über den Umweg des Erzählens gekommen: Sie berichtete, dass sie beim gemeinsamen Spaziergang durch Berlin einer Freundin Geschichten von den Orten, Plätzen und Menschen der Stadt erzählt hatte. Nach weiteren Recherchen und Notizen ist daraus ein Buch über Berlin und über die Geschichten seiner Menschen entstanden: „Auf der Suche nach der Seele Berlins“. Als Autorin geht Dorota Danielewicz in ihrem Buch weit über einen Bericht über die Stadt hinaus. Sie beschreibt, genau beobachtend, einfühlsam und mit Witz ihre Geschichten und die der in ihr lebenden Menschen.
Tanja Langer, 1962 in Wiesbaden geboren und seit 1986 in Berlin, arbeitete als Regisseurin und Journalistin, bevor sie sich seit Ende der 1990er Jahre als Buch- und Hörfunkautorin ganz auf das Schreiben konzentriert. 2015 gründete sie den bübül Verlag. Sie arbeitet mit bildenden Künstlern und Musikern zusammen, und so vielfältig ihre Berufe, so vielfältig sind auch ihre Bücher: Gedichte, Erzählungen, Romane, Essays bis hin zur Lebensgeschichte des Malers Edvard Munch.
Dass im Leben und Arbeiten von Tanja Langer Bilder und Klänge eine große Rolle spielen, ist ihren Texten anzumerken. Auch in der Erzählung „Singvogel, rückwärts“ spielt sie mit Worten, mit ihrem Klang und Geschmack, schildert Gerüche und Bilder – das macht für sie das Schreiben aus. Für Tanja Langer ist Schreiben ein Nach-Fühlen, Nach-Spüren und Den-Dingen-auf-den-Grund-gehen, auch – und vielleicht erst recht – wenn es um schwierige Themen geht.
Muttersein und Vatersein: „Singvogel, rückwärts“ von Tanja Langer
Ein solches Thema sprach Tanja Langer gleich zu Beginn der Lesung an: Es ging um die Frage, wann ein Vater ein Vater ist – als biologischer, leiblicher oder erziehender Vater. Es ist auch das Thema der Erzählung „Singvogel, rückwärts“. Sie erzählt von Nini, einer Mutter, die mit ihren drei Mädchen durch Polen in die Ferien fährt. Neben allen Widrigkeiten und Ungeheuerlichkeiten, denen sie auf der kurzen Reise begegnet und die Tanja Langer dennoch mit einem Lächeln erzählt, sind die Erinnerungen und Gedanken Ninis das eigentliche Thema.
So wie Nini am Beginn der Geschichte auf schlammigem Boden ausrutscht, schlittert, „den Boden verliert“, verliert sie sich zunehmend im Nachdenken über ihre eigene Familiengeschichte. Sie hat erfahren, dass ihr Vater nicht ihr leiblicher Vater ist, genau so, wie sein aus Polen stammender Vater nicht sein leiblicher Vater gewesen, sondern er bei den Eltern seiner Mutter aufgewachsen ist. Ninis Gedanken drehen sich nicht nur darum, warum er ihr dies nicht erzählt hat, ob er denn nun ihr Vater sei oder nicht, sondern auch um die Frage, wer denn der Großvater sei – seine Antwort war ein Wortspiel und Rätsel: „Singvogel, rückwärts“.
Die Zuschauer waren gespannt, ob und wie sich dieses Rätsel im Buch wohl auflösen mag. Doch dies war für Nini letztlich ebenso unwichtig wie am Ende der Geschichte die Frage, ob ihr Vater ihr leiblicher Vater sei. Vatersein, so ihre Einsicht und schöne Pointe der Erzählung, ist nicht Geburt und Herkunft, sondern das intime Kennen des Klappergeräusches, das seine Hände beim Räumen des Geschirrs machen.
Der Text entspinnt damit die Diskussion um Familien und Erinnerungen, um Vater- und Mutterschaft und die Frage, was einen Vater oder Eltern wirklich ausmacht. Denn ebenso, wenn auch weniger vordergründig, denkt der Text über das Muttersein nach. Mit Nini werde die Geschichte, wie eine Zuhörerin bemerkte, von einer starken Frauenfigur bestimmt, die allein mit ihren drei Mädchen ins Ausland verreist, weite Strecken fährt, ihre Mädchen wiederholt – eins, zwei, drei – ins Auto und aus dem Auto hebt und ins Bett trägt, auch in scheinbar ausweglosen Situationen nicht den Kopf verliert, sondern weitermacht und Auswege findet.
Geschichte und Geschichten: „Berlin. Przewodnik po duszy miasta“ – „Auf der Suche nach der Seele Berlins“ von Dorota Danielewicz
Das Buch „Auf der Suche nach der Seele Berlins“ von Dorota Danielewicz erschien 2013 in polnischer und im Jahr darauf in deutscher Sprache. Sie erzählt darin über Berlin und seine Geschichte und über Berliner Orte und Plätze und ihre Geschichten. In genau beobachteten Schilderungen und hintergründigen und zugleich heiteren Erzählungen ihrer Bewohner und über die Menschen, die sie getroffen hat, beschreibt sie Berlin als eine Stadt, die von historischen Ereignissen geprägt, durchgerüttelt und gestaltet wurde.
Durchflochten werden diese Berichte und Erzählungen von eigenen Erinnerungen der Autorin und gespiegelt in Erzählungen aus ihrer Kindheit, Jugend und Biografie. So berichtet sie von einem älteren Mann, der im Zweiten Weltkrieg als Soldat auf U-Booten war; sie verknüpft dies mit den Geschichten ihrer eigenen Familie und den Männern die, auf polnischer Seite kämpften, aber auch mit den Krieg-Spielen in ihrer Kindheit, in welchen wie selbstverständlich die Seiten polnisch-deutsch getauscht wurden.
Für Staunen und gleichzeitig Amüsement sorgte die Erzählung von einer verlorenen Puppe. Franz Kafka schrieb dem Mädchen, das ihre Puppe in einem Park verloren hatte, ein Jahr lang Briefe aus der Sicht und vom Leben ihrer Puppe. Eine wahre Geschichte, die einen ungewohnten Blick auf Kafka eröffnet und einmal mehr eine unwirkliche und wunderbare Geschichte mit der Stadt verbindet.
Diese intensive Beschäftigung und Beobachtung der Stadt kommt, so Dorota Danielewicz, nicht daher, weil sie nach Deutschland und Berlin gekommen ist. Vielmehr seien diese Aufmerksamkeit und Beobachtungsgabe, das Zuhören und Recherchieren grundlegend und ein wichtiger, unverzichtbarer Teil der Arbeit als Autor.
Von der Kunst des Übersetzens
Dorota Danielewicz hat in polnischer und deutscher Sprache aus ihrem Buch vorgetragen. Sie berichtete auch, dass das Buch nicht wortwörtlich aus der polnischen in die deutsche Fassung übertragen werden konnte. So mussten für das deutsche Publikum andere inhaltliche Schwerpunkte, etwa ein größerer Bezug zur Gegenwart, gesetzt werden als für das polnische, wo mehr historische Hintergründe beschrieben werden mussten. Auch sprachlich galt es Unterschiede zu berücksichtigen, etwa bei Formulierungen, die sich nicht wortwörtlich übersetzen ließen, und bei der Übertragung der vageren Ausdrucksweise, in die im Vergleich zum Polnischen sehr konkrete deutsche Sprache.
Dorota Danielewicz hat Tanja Langers Erzählung „Singvogel, rückwärts“ ins Polnische übersetzt und vorgetragen. In der Erzählung von Tanja Langer war es vor allem das Wortspiel „Singvogel, rückwärts“ – aus „Fink“ wird „Knif“ usw. –, das beim Übersetzen eine Herausforderung darstellte. Beide Autorinnen waren sich einig, dass Übersetzen mehr sei als reines Übersetzen der Worte in die Worte einer anderen Sprache. Vielmehr ist deutlich geworden, dass Sprache immer auch ein Spiegel der Kultur sei, in der sie gesprochen wird, und der Menschen, die sich mit ihr verständigen. Übersetzen ist daher nicht selten die Erfahrung kultureller Unterschiede und auf spielerische Weise mit ihnen umzugehen.
Das war die Abschluss-Lesung der 3. Kiezlesereise
Die vierte Autorenlesung der 3. Kiezlesereise am 9. November 2016 fand im Café Kiezanker e.V. im Rollberg-Kiez statt. Wir danken Yildiz Yilmaz und ihrem Team sehr für ihre Gastfreundschaft und für Tee und Kuchen zu später Stunde.
Unser besonderer Dank geht an Dorota Danielewicz und Tanja Langer. Auf Polnisch und Deutsch haben sie aus ihren wunderbaren Büchern vorgetragen, dem Publikum persönliche Einblicke in ihre Entstehung gegeben und Fragen zum Übersetzen beantwortet.
Ein Text von Franziska Müller
Weiterführende Links
Fotos zur Lesung
Die Fotos zur Lesung mit Tanja Langer & Dorota Danielewicz sind auf unserer Kiezlesereise-Facebookseite.